Freitag, 20. Januar 2017

Produkttest: Lumunu After Shave Lotion

Ich bin einer dieser Menschen, welche sich nicht nur epilieren, sondern auch rasieren. Vor allem dann, wenn ich den Schmerz an gewissen Stellen nicht mehr ertrage. Bei meinem dunkleren Körper und Haartyp ist das Rasieren eine tägliche Routine geworden.
Ja, Frau kann auch wachsen lassen, diese Diskussion gibt es bereits länger. Aber ich habe meine Gründe, warum ich es nicht gerne sprießen lasse und es ist nicht etwa, weil ich mich in der Öffentlichkeit schämen würde. Mich in der Öffentlichkeit zu schämen bedarf weitaus mehr, als ein Paar Haaren an der für manche Menschen falschen Stelle. Um hier aber keine Grundsatzdiskussion vom Zaum zu brechen, welche ich mit mir selbst führe. Ja, ich rasiere mich und das täglich, was für die Haut durchaus anspruchsvoll ist. Und ich habe eine gute Haut, nicht zu fettig, nicht zu trocken, nicht besonders empfindlich, reißt nicht, hat keine Ausschläge oder andere juckende Stellen.
Also sollte ich mich eigentlich auch nicht beklagen, wenn es durch diese tägliche Beanspruchung manchmal zu roten Flecken, kleinen Entzündungen, Irritationen oder eingewachsenen Haaren kommt. Das ist natürlich, aber es ist auch nervig. Der Schmerz durchaus erträglich.

Und nun wurde mir ein Produkt zugesendet, welches quasi mit diesen Problemen aufräumen soll. Nicht den eingewachsenen Haaren, die kennt wohl jeder und es führt nun Mal kein Weg drumrum mit der Pinzette herum zu doktoren und diesen unter der neuen Hautschicht heraus zu holen.
Nein, es geht um die Pickelchen oder den Rasierbrand, wie es nach der Produktbeschreibung heißt. Kannte das Wort bis dato nicht, finde es aber irgendwie passend.
Die besonders empfindlichen, rasierten Stellen sollen also danach mit dieser Creme eingeschmiert werden und puff, zapp zarap, kading - keine Probleme mehr mit dem Ausschlag-Pickel-Zeug. Und bei so möchtegern Wundermittelchen bin ich skeptisch, immer. Auch wenn da Q10 Antifalten drauf steht, ist das noch lange nicht das, was dir wirklich hilft.

 

Aber ich hab es ausprobiert, wenn auch skeptisch und erst einmal festgestellt, dass die Creme angenehm riecht. Es ist geschlechtsneutral und das kann ich beim Geruch so auch unterschreiben, auch wenn ich behaupten würde, dass das Blumendesign mehr Frauen anspricht. So als Person, die nicht etwa aus dem Designbereich kommt (doch tue ich) spricht es trotz blauer Farbe eher die weibliche Zeilgruppe an. Lumunu ist vom Geruch her nicht direkt einzuordnen, ich habe zumindest etwas gebraucht. Es riecht stark, aber nach was... irgendetwas zwischen After Eight, ohne Schokolade und undefinierbar, aber gut.

Es soll vegan sein, was ja immer löblich ist und ohne Tierversuche hergestellt worden. Und man soll es überall auftragen können. Jetzt kommt der Haken und der ist bisschen groß. Eine Aftershave Lotion die man anscheinend überall da auftragen können soll, wo man sich rasiert hat und die dabei auf Minzbasies ist... das funktioniert nicht. Ich habs ausprobiert und ich muss sagen, jeder der Schleimhäuter in der unmittelbaren Umgebung der rasierten Region hat, sollte aufpassen. Achseln und Beine gar kein Problem, Bikini ist weitestgehend auch in Ordnung, aber man sollte je weiter man runter geht, wirklich aufpassen.
Es brennt nicht direkt, es wird nur sehr unangenehm warm und ich habe beim ersten Auftragen direkt darauf geachtet, dass ich den Intimbereich nicht berühre, wo es gefährliche werden könnte. Aber dieser hat sich direkt gemeldet und es hat schon eine gute Weile gedauert bis die Hitze und das Spannungsgefühl der Haut an dieser Stelle wieder nachgelassen haben. Wie gesagt, keine richtigen Schmerzen, angenehm ist aber anders.
Wenn man das aber beachtet, sollte es keine Probleme geben. Ich lasse wie gesagt einen gewissen Abstand.

Nun aber zur Wirkung, denn wie man vielleicht schon realisiert hat, ich benutze das Zeug noch, auch wenns warm wird. Denn es funktioniert. Kann gar nicht sonderlich mehr dazu sagen. Die Pickelchen verschwinden nicht direkt, kaum dass man es drauf macht. Und es gibt auch noch paar kleine Rötungen, aber das ist ja auch kein Wundermittel. Ich kann nur sagen, dass wenn ich es auftrage, die Haut danach sich beruhigt, dieser Rasierbrand zurück geht und es nicht weh tut. Somit hat es für mich seinen eigentlichen Zweck erfüllt. Und der Geruch hebt eine gute Zeit und ist sehr angenehm, die Creme kühlt gleichzeitig und zieht schnell ein, stört also auch nicht. Man braucht auch nur sehr geringe Mengen, das heißt diese Flasche wird eine Ewigkeit halten.

Kurz gesagt, ich werde es wieder verwenden, bis ich etwas besseres finde. Falls ich etwas besseres finde.

9 Punkte

Samstag, 14. Januar 2017

Produkttest: Dresdner Essenz Duschschaum

Eine der neusten Innovationen, zumindest preist es die Pflege- und Beautyindustrie so an, ist, neben der Duschcreme immer wieder Duschschaum. Jetzt werden sich einige fragen: Was soll daran bitte neu sein? Und ja, das habe ich mich auch gefragt, als ich das Päkchen geöffnet hatte und den Inhalt das erste Mal sah.
Wobei man bei Dresdner Essenze wenigstens von einer sehr guten Qualität ausgehen kann. Somit lag für mich der Fokus mehr auf der Pflege, als dem ach so großen Innovationspotential. Ich sollte auch vorweg nehmen, dass ich Duschschäume eigentlich einerseits irgendwie toll finde, weil sie fluffig sind und... es ist fluffig, das wars eigentlich auch schon, aber mir meist das Geld nicht wert. Ich bekomme sie zu Weihnachten geschenkt und einmal im Jahr reicht mir das auch.
Nun aber zu diesem Teil.
Es riecht sehr gut, besser als die meisten anderen Produkte aus der selben Kategorie von vergleichbaren Marken. Nicht zu süß. Ich weiß, manche Frauen stehen drauf zu duften, als hätte man sie gerade aus Bonbonpapier ausgepackt, aber das wird nie mein Fall sein.
Also erst einmal die Anleitung überflogen. 3 A4 Seiten, keine wirkliche Lust mich mit den Floskeln wie: Herzlichen Glückwunsch - Außerwählt - blablaschmu; außeinander zu setzen. Gebe ich ganz offen zu, so viel Text schreckt erst einmal ab.
Und dann blieb ich an der eigentlichen Info hängen, nämlich, dass es sich hierbei nicht nur um einen Duschschaum sondern auch einen Rasierschaum handelte. Doppelpflege, quasi. Und dann stand da noch so etwas wie: Bitte erst an den Beinen damit waschen, abwarten ob Hautirritationen auftreten, wenn nicht darf man es überall anders benutzen. Und dann erst vorsichtig und ebenfalls an den Beinen zum rasieren benutzen.
Ich schnappte mir das Duschgel, sprang ins warme nass, sprühte es in meine Hand, dachte einen Sekundenbruchteil darüber nach, dass es eventuell meine Haut verätzen könnte - bei Dresdner Essenz
sehr wahrscheinlich, ich weiß - und schmierte es mir auf die Beine, sowie den restlichen Körper. Nichts passierte. Alles abgewaschen und dann zum rasieren benutzt.
Yolo und so. Ich hasse dieses Wort, aber irgendwie trifft es zu.
Der anfängliche Duschschaum, welcher ganz gut riecht und fluffig ist, stellt sich beim Rasieren als wirklich praktisch heraus. Ich will nicht übertreiben, die Haare fallen nicht von selbst aus oder rennen schreiend weg, aber es flutscht nur so. Kein Schneiden, kein drüber schrubben oder an gewissen Stellen hängen bleiben mit der Klinge. Und danach fühlt sich die Haut auch nicht sonderlich strapaziert an, Rötungen bleiben aus, es brennt nirgends.

Ich rate jedem davon ab, direkt alle Vorsichtsmaßnahmen über Bord zu werfen. Man sollte seine Haut und deren Empfindlichkeit selbst einschätzen können und da meine wirklich viel abkann, ich außerdem vielleicht auch etwas vorschnell bin (sich selbst als dumm zu bezeichnen hat immer so einen schalen Beigeschmack), habe ich es nicht bis zur zweiten Dusche ausgehalten.
Und ja, das ist der erste Dusch/Rasierschaum, bei dem ich selbst einmal zugreifen würde und ihn kaufen. (Nur kann ich leider noch nichts zum Preis sagen.)


10 Points for Gryffindor (10 ist so das Maximale)

Montag, 9. Januar 2017

Das Produkt und Ich

Es ist eine Zeit her, ziemlich lange und ich bin mir bewusst, dass von meinen nicht vorhandenen Followern wahrscheinlich niemand diesem Beitrag Aufmerksamkeit schenken wird, aber ich dachte mir (diesen Satz könnte man wirklich noch endlos in die Länge ziehen), dass ich Lust habe eine andere Richtung einzuschlagen.

Produkttester(in)

Das machen auch so unglaublich wenig Menschen und was würde man nicht alles nettes sagen, um etwas gratis testen zu dürfen. Aber irgendwie habe ich keine Lust genau das Gleiche zu schreiben, wie der Großteil aller Produkttester, denn schlussendlich schleimen sie viel und gerne. Gratis. Man versteht sich.

Morgen beginnt es, meine ersten Meldungen. Denn ja ich habe das eine oder andere bereits in oder um die Finger bekommen, es hat mich verwöhnt, manches hart gepackt und wieder anderes zum Winseln gebracht. Be prepared. Und so.

Montag, 23. November 2015

NaNoWriMo Tag 23

Hab die 50000 erreicht, bin noch nicht am Ende der Geschichte, finde aber, dass ich mir dafür selbst einmal auf die Schulter klopfen darf. Bitte Dankeschön.

Never Tag 22 & 23



sechstens – 50% Nimmer

Ich taumle gegen den breiten Rücken direkt vor mir und schrecke scheinbar aus meinen Gedanken hoch oder ich habe es wirklich fertig gebracht im Laufen einzudösen. Keine Reaktion, kein Knurren, auch wenn ich fast damit gerechnet hätte. Der Indianer, dessen Rücken wirklich ziemlich viel Wärme abgibt, sieht mich lediglich kurz an und schon allein bei dem Blick würde ich mich gerne Verkriechen.
Er öffnet den Mund: „Wohnst du bei jemandem?“, hakt er nach und langsam kann ich die ersten Lichter durch die Bäume erkennen. Verwirrt sehe ich mich um. Er hat Kleidung an, normale, Kleidung und wir sind wieder im Auto. Ich blinzle, schiebe auf die Müdigkeit und wieder verschwimmt meine Sicht. Da ist er wieder, wir mitten im Dschungel, ich kann es riechen, deutlich, Torf, Schweiß, die Feuchtigkeit legt sich auf meine Haut und wieder taumle ich gegen ihn, als er etwas zu hart den meinen Fesseln zieht.
Wir laufen schon ewig, meine Füße tun entsetzlich weh und ich werde von Sekunde zu Sekunde nervöser. Aber mein Kopf scheint nicht funktionieren zu wollen, nicht so wie er sollte. Ich schiebe es darauf, dass mein Körper mit der Nüchternheit nicht klar kommt. Und wo sind überhaupt der Gnom und die Fee?
Mein Kopf zuckt nach oben, gerade als er einfach zur Seite kippen will.
Wir passieren ein paar Häuser, die verstreut im Land stehen und schließlich setzt er den Blinker. Diese ganze Szenerie erscheint mir falsch. „Nein“, antworte ich offen: „Ich will einfach nur weiter, danke dass du mich mitgenommen hast.“ Mitgenommen? Er hat doch… er… was… ?Wieder ist es kurz still, für meinen Geschmack biegen wir etwas zu weit nach rechts ab, aber noch ist der Berg da vor mir und scheint zu warten.
„Du solltest heute Nacht nicht mehr weiter. Es ist hier ziemlich gefährlich und dann der Schnee…“, wirft er ein, wirkt dabei aber so unbeteiligt, als würde er sich lediglich darüber Gedanken machen, was für eine seichte Fernsehsendung ihn wohl nachher erwartet. Ich weiß nicht so recht, was ich erwidern soll und sage dann nur: „Ich weiß, ich will nur schnellstmöglich weiter.“
Ein Ruck, ich werde nach vorne gezogen, verliere das Gleichtgewicht endgültig und knalle auf den Boden. Obwohl er weich und morastig ist tut der Aufprall weh, sehr sogar. Bevor ich wirklich zu Luft komme werde ich auch schon wieder hoch gezogen. Er packt mich einfach unter der Achsel und stellt mich aufrecht hin, wobei ich ordentlich mit den Füßen nachhelfe, da das schon ziemlich weh tut. Bisher hat er kein Wort gesagt, oder doch oder… . Mein Atem geht schnell, ich weiß nicht mehr wo oben oder unten ist. Der Dschungel, wir sind im Dschungel, wir waren die ganze Zeit im Dschungel. Aber… aber… .
„Das kannst du auch noch morgen, Mann.“ Ich reiße die Augen noch etwas weiter auf, obwohl sie mir nicht zugefallen sind. Es ist viel eigenartiger, als würde einfach, als würde… . Seine Stimme kenne ich, aber er hat doch noch gar nicht mit mir gesprochen. Es war doch eben noch viel wärmer und… . „Ich muss wirklich…“, beginne ich automatisch und bin mehr als verwirrt. Ich weiß nicht einmal genau worauf ich antworte und realisiere erleichtert, als ein altes und renovierungsbedürftiges Holzschild das uns mitteilt, dass wir eine Kleinstadt erreicht haben. Es ist von Graffiti bedeckt und ausgeblichen, sodass ich nicht einmal den Namen lesen kann, das Holzschild darunter ist besser gepflegt und weist auf die Indianer hin. Nett. Nicht eine Kleinstadt, ich weiß, dass wir zu dieser Stadt fahren. Ich weiß… wo ich bin, ich weiß es.
Trommeln, nach einer gefühlten Ewigkeit kann ich Trommeln hören. Die Panik nimmt mir komplett die Luft zum Atmen, während ich mich fühle, als würde ich auf meine eigene Hinrichtung gehen. Die Fesseln schneiden mir unbarmherzig ins Fleisch und doch scheine ich das vibrieren des Autos noch unter mir spüren zu können. Ich schüttle den Kopf, ein paar Blätter schlagen mir ins Gesicht und ich bin kurz davor einfach loszuheulen. Bei allem was mir heilig ist, ich werde verrückt. Auto, ich habe noch nie ein Auto gesehen nur in den Geschichten meines Vaters davon gehört. Von der Welt unten, in der es so manche Wunder gibt, aber keine richtigen und vor allem haben die Leute vergessen wie man glaubt. Was ist nur los mit mir?
„Du hast keine Kohle, stimmt’s“, stellt er fest und ich starre ruckartig gerade aus, zittere am ganzen Leib und bemerke, dass ich die Hände so fest geballt habe, dass sich meine Fingernägel ins Fleisch drücken. Wieso spricht er mit mir? Er sieht genau gleich aus, aber doch irgendwie anders… er… ich wüsste nicht einmal was ich sagen soll. „Wenn es das ist, du kannst bei meinem Onkel schlafen. Er hat einen Hof und wenn du beim Kochen und Abwasch hilfst und alles so hinterlässt, wie du es aufgefunden hast, ist das kein Problem. Du kannst da heute Nacht nicht raus, du erfrierst“, und damit scheint für ihn das letzte Wort gesprochen, da ich mich auch nicht wehre sondern völlig überfordert bin. Diese Träume, sie scheinen mittlerweile immer echter zu werden.
Er biegt von der winzigen Hauptstraße ab, nach rechts und die Häuser werden immer weniger, bis wir  uns erneut auf einer schmalen und dieses Mal kurvigen Landstraße befinden. Erneut ein Schild mit dem Hinweis auf die Nachkommen der Indianer, welche genau, keine Ahnung. Und neben dem Gefühl, dass ich wieder zu weit von meinem Weg abkomme, den es ja als solchen gar nicht gibt, ist da auch tatsächlich genau in diesem Moment so etwas wie Angst. Er nimmt mich gerade mitten in die Pampa mit, weder weiß ich seinen Namen noch sonst etwas und wenn das so ein paar Psychopathen sind… .
Ich schlucke hart, der Weg wird immer schmaler, ist mittlerweile nicht einmal mehr asphaltiert und dann tauchen die ersten Lichter eines wirklich großen Hofs auf. Er ist alt, aber wirkt nicht heruntergekommen und strahlt mit der Tür, welche geöffnet wird, als Indianer flinke Socke den Motor ausschaltet, etwas sehr einladendes aus. Ein Mann kommt heraus, dick eingepackt und trotzdem über das ganze Gesicht strahlend. Er repräsentiert so ziemlich das, was man sich unter einem modernen Indianer vorstellt. Langer, grauer Zopf, dunkle Haut, die Kleidung altmodisch und hier und da etwas Traditionelles dabei.
Und dann sagt er irgendetwas, das ich wirklich nicht verstehe und versuche so lautlos wie möglich meine Tür zu schließen. Der Mann bemerkt mich erst in diesem Moment und sein Strahlen wird nur noch breiter: „Ach, du hast uns jemanden mitgebracht.“ Und plötzlich spricht er meine Sprache und mir wird etwas hinten in die Kniekehlen gerammt, sodass ich in die Knie gehe.
Ich bin wieder gefesselt und registriere, dass ich mich mitten auf einem großen Platz befinde. Rings herum haben sich die Stammesangehörigen versammelt und starren mich an, die einen wirken desinteressiert, ein paar höhnisch, viele aber winken einfach nur ab und verlassen die Versammlung bereits wieder. Wieso kann ich mich nicht einmal mehr daran erinnern, wann genau wir diesen Platz betreten haben? Da sind andere Erinnerungen, es verschmilzt und schon alleine beim Gedanken daran fängt mein Kopf an höllisch weh zu tun.
Der Platz ist nicht sehr riesig, ich knie in der Mitte, auf einem zerrissenen, braunen Stoff, den sie einmal gespannt hatten. Wir wissen von einigen Erkundungstrupps und ich habe es in ihrem alten Dorf, weiter nördlich, selbst gesehen, dass sie dieses Tuch gespannt haben und dort drauf trainieren. Es katapultiert einen in die Höhe, ob das aber sonderlich fördernd für Kämpfe ist weiß ich nicht. Dieses hier ist nicht gespannt, es ist gerissen, liegt einfach nur kaputt auf den Boden, während sich die Holzränge um mich herum erheben und ich wie in einer Art Arena aufblicken muss, um mein Schicksal zu erfahren.
Der Indianer steht neben mir, ich kann mich noch genau an seine Stimme erinnern, seine Worte und weiß nicht genau, ob das bloße Einbildung war. Es muss, denn alles andere würde keinen Sinn ergeben. Wieso kann mir nicht einfach irgendjemand etwas Alkohol geben oder mich wenigstens kurz und schmerzlos ausknocken, dann würden auf diese Kopfschmerzen aufhören. Alles hier wirkt etwas provisorisch und auch herunter gekommen. Die Stämme aus denen das Podium gebaut ist sind morsch, knicken unter dem Gewicht teilweise ein und sind nicht bemalt, wie es in ihren verlassenen Dörfern der Fall war. Das alles hier ist irgendwie schnell zusammen gezimmert worden, man hat versucht an der Tradition festzuhalten und scheint einfach darauf zu hoffen, dass alles wieder gut wird.
Die Indianer selbst sind alle von Kriegsbemalung überzogen, rot, schwarz, weiß, teilweise auch mit exotischeren, bunten Farben, die grell auf ihrer dunklen Haut wirken. Aber weder haben sie ihren opulenten Haarschmuck noch sonstige Dekoration. Der traurige Abklatsch eines großen Volkes, genauso sieht es aus und ich knie zu ihren Füßen und bin abhängig von ihrer Gnade oder eben dem Hass ausgeliefert, da ich mir sicher bin, dass sie uns die Schuld geben.
Ein Mann erhebt sich, er ist alt, die Haare sind beinahe weiß und als er den Mund aufmacht scheinen seine Zähne zu strahlen, was an der verbrannten, dunklen Haut liegt. Tiefe Falten zieren sein Gesicht und er hält einen reichlich verzierten und schön geschnitzten Stab in der Hand. Dieser ist ab der Hälfte einmal zerbrochen und wird mit Schnüren zusammen gehalten, das Ende wippt trotz allem etwas und scheint jeden Moment abzufallen.
Er und der Mann hinter mir tauschen ein paar Worte aus, ich verstehe natürlich nichts und beobachte stattdessen, wie es immer leerer wird, sich immer mehr von dem Geschehnis abwenden. Man könnte mich ja auch einfach frei und stillschweigen im Dschungel verrecken lassen. Schließlich scheinen die beiden Männer sich einig zu sein, denn ich werde noch einmal hart mit dem stumpfen Ende des Speers zwischen die Schulterblätter geschlagen und dann grob auf die Beine gezogen. Beinahe hätte ich vor Schmerzen aufgeschrien, beiße mir aber stattdessen auf die Lippen und werde vom Platz gezerrt.
„Ich… ich weiß ja nicht einmal wie ich hier gelandet bin. Ihr müsst mich nicht töten, wirklich. Es ist nicht so, als könnte ich irgendwem verraten wo ihr seid“, kann ich wirklich nicht, denn für die Piraten bin ich gestorben und ich bin mir sicher dass Meerjungfrau und Co nichts mit dieser Information anfangen können. Als würde die sich aus ihrem Teich schwingen und mit ihrer Miniarmee, und das meine ich auf Anzahl und Größe bezogen, aufmachen um mich zu retten. Bis die hierher gerobbt ist, bin ich längst tot.
Es geht eine Leiter hinauf, mit gefesselten Händen recht schwierig ist und mich der Indianer schlauer Vogel einfach so am Arsch anhebt und hochschiebt, ganz ohne Hemmungen. Wahrscheinlich denkt er ich wäre ein Mann oder es ist ihm egal. Vielleicht ist unser guter Indianer Grabschi auch einfach so abgestumpft gegenüber seiner Umwelt, dass es ihm nicht einmal unangenehm wäre, wenn neben ihm ein Nimmervogel ordentlich ein Ei legt. Aber ich rede hier nicht von Nachwuchs.
Umständlich werde ich hochgeschoben, versuche mich selbst irgendwie festzuhalten und Stückchen um Stückchen voran zu ziehen, während ich feststelle, dass diese Leitern wirklich hoch sind. Huh, geht’s da runter. Ein Blick nach unten und ich wäre wohl erstarrt, einfach so festgefroren, hätte mich nicht wieder etwas von unten angehoben. Knurrend und ächzend ziehe ich mich Sprosse für  Sprosse weiter, komme schließlich oben an der Kante der hölzernen Plattform an und habe nun ein entscheidendes Problem. Ich kann mich gar nicht hochziehen. Haha.
Aber bevor ich mich noch wirklich mit dieser etwas verzwickten Lage auseinander setzen kann, registriere ich die zwei Paar Füße, welche uns scheinbar schon erwartet haben. Sie sind nackt, haben dunkle Haare auf den dreckigen Zehen und ebenfalls denselben Hauttyp wie mein stummer Begleiter. Ich werde unter den Achsen gepackt und einfach von zwei stämmigen und ebenfalls grimmig kuckenden Indianern hochgehoben. Sie sind nur ein Stück größer als ich, zeigen jedoch Respekt, kaum dass sich Häuptling ohne Zunge ebenfalls hochgezogen hat. Ja, ich sollte aufhören ihn Häuptling zu nennen, dieser eine Weißhaarige war sicher der Häuptling oder eben Medizinmann, aber irgendwie würde es zu ihm passen.
Mir fällt jetzt erst seine recht enorme Körpergröße auf. Dass er groß sein muss ist mir nicht entgangen, aber wenn man so umgeben ist von ebenfalls recht hoch gewachsenen Leuten, dann wird seine Körpergröße einem noch mehr bewusst. Er überragt die meisten um gut einen halben Kopf, sieht noch strenger und grimmiger aus, als es die anderen hinbekommen und gibt mich scheinbar, ohne einen weitere Kommentar oder sich noch irgendwie verantwortlich zu fühlen, an die anderen beiden ab. Mit offenem Mund sehe ich ihm hinterher, als er sich einfach abwendet und über die Plattform zu einer Hängebrücke geht. Hallo, wenigstens so ein paar Worte zu meiner Wenigkeit wären doch angebracht gewesen, wenigstens mein hervorragendes Führungszeugnis könnte man erwähnen. Ich habe ihn weder angegriffen noch Fluchtversuche gestartet oder ihn beleidigt, zumindest nicht laut. Das kann man doch nur einen Vorzeigegefangenen nennen.
Die zwei Männer mit den dreckigen Füßen bringen mich weiter, fassen mich aber nicht weiter an, was mich etwas erleichtert. Dieses ständige angekrabbel ist wirklich nicht so meine Sache, ich bin allgemein kein sehr körperlicher Mensch. Hätte wahrscheinlich eine schlechte Dirne abgegeben, aber ob ich als Pirat so viel besser war? Konnte ich auch nie wirklich feststellen, immerhin haben wir während meiner Zeit keinen offenen Krieg gegen die Indianer geführt, keine Meerjungfrauen gejagt, keine verlorenen Jungs gefunden oder Seeschlachten geschlagen. Eigentlich bin ich nur in einem gut: Saufen. Gut, vielleicht zwei Dingen: Saufen und mir den Hals retten. Wobei ich dafür ja Hilfe hatte, aber so viel Glück braucht man erst einmal.
Angespannt trotte ich hinter den beiden her, einer hält das Ende des Stricks, mit welchen ich gefesselt bin und ich fühle mich ein bisschen wie ein Hund. Aber wäre ich ein Hund, dann würde ich wohl nicht getötet werden oder von zwei Wächtern bewacht. Dafür müsste ich ein großer und wirklich böser Hund sein und irgendwie wäre ich das sicher auch nicht. Bin eher so das abgemagerte, schlechte Modell, dass sich wankende nur schlecht auf den Beinen hält und immerzu in der falschen Richtung die Witterung aufnimmt.
Leise knirscht das Holz unter meinen Füßen, über mir, unter mir, Rascheln, Knarren, Schritte, Stimmen, auch etwas Musik von Trommeln und ich kann sogar auf einer höheren Plattform links von mir ein paar Kinder sehen, welche mit Stöcken das Kämpfen üben. Wir gehen an Wächtern vorbei, aber auch ganz normalen Arbeitern, die die Plattformen instand halten, Frauen die große Körper auf den Köpfen balancieren, spielenden, lachenden Kindern.
Dieser Ort scheint noch so unberührt von all dem Leid, welches Nimmerland eingeholt hat, trotz allem blättert auch hier bereits die Farbe ab. Dicht an den Stämmen selbst stehen Häuser. Sie wirken eher wie Zelte ober übergroße Zwiebeln, sind abgerundet und laufen oben Spitz zu. In diesem Fall sind sie aus Stroh und Holz gebaut, aber in den verlassenen Dörfern habe ich sie schon viel farbenfroher gesehen. Aus buntem Stoff, mit Federn der Nimmervögel geschmückt, die in den verschiedensten Farben daher kommen. Die Indianer sind kein trauriges Volk und eigentlich lachen sie auch viel, zumindest bemühen sie sich das Klima positiv zu halten.
Einige sehen grimmig aus, manche unbeteiligt, aber sie haben es hier ja auch noch wesentlich besser als wir außerhalb des Dschungels. Wie lange sie hier aber noch sicher sind, das steht in den Sternen. Plötzlich biegen wir nach rechts ab, auf einen Steg. Es ist das größte Haus von allen, welches man auch bereits aus einiger Entfernung von jeder Plattformt aus sehen kann. Es befindet sich an keinem Stamm, sondern wird von einer sternenartigen Stegkonstruktion gehalten und eben diese kommen von den verschiedenen Plattformen und bündeln sich. Dieses Haus ist das einzige, welches noch an die besseren Tage erinnert, es leuchtet in den verschiedensten Farben, rot und gelb, lila, rose, grün und blau. Ein Wirrwarr, welches doch perfekt ineinander übergeht, aus Tüchern und festen Wänden bestehend und umgeben von leuchtenden Fackeln.
Ohne zu Zögern laufen meine Wächter mit den schmutzigen Füßen weiter und genau darauf zu. Mir wird bei jedem weiteren Schritt mulmig, vor allem als ich so manchen Blick bemerke. Leute, Arbeiter, Mütter, die an mir vorbei gehen und der ein oder andere mir tatsächlich so etwas wie einen Mitleidigen Blick schenkt. So ganz grob kann ich mich da an etwas erinnern, weiß es dann aber doch nicht mehr sicher. Der Alkohol, das altbekannte Problem. Aber habe ich nicht einmal gehört, dass die Indianer uns die Schuld an all dem geben. An der Kälte und dem Sterben. Meine Vollbremsung wird einfach ignoriert, einer der Eingänge geöffnet, die Stoffe zur Seite geschlagen und ich mit hinein gezogen, ob ich möchte oder nicht. Da ich seit Tagen nicht wirklich etwas gegessen habe noch viel getrunken, habe ich ohnehin keine Kraft.
Wärme schlägt mir entgegen, prickelt auf der Haut und lässt den Schweiß ausbrechen, wobei dieser auch von der Angst kommt, welche mir auf einen Schlag die Kehle zuschnürt. Mir ist so erbärmlich heiß, wobei ich gleichzeitig zittere. Es ist nicht stickig, das muss ich ihnen zugutehalten und doch bekomme ich plötzlich so viel schlechter Luft. Das Zelt ist in der Mitte eben, gewobene Teppiche und Tücher sind auf dem Boden verteilt und erst an den Wänden erheben sich Ränge, wohl für größere Debatten oder Abstimmungen. In der Mitte des Daches ist ein Loch, durch welches das immer dunkler werdende Tageslicht herein sickert und es, falls man ein Feuer entzündet, wohl dazu dient den Rauch hinaus zu lassen.
Es ist still, als ich herein gebracht werde und mich damit konfrontiert sehe, dass der Indianer bei meinen Fesseln wirklich ganze Arbeit geleistet hat. Egal wie sehr ich reibe oder ziehe, sie bewegen sich nicht, sondern scheinen sich nur noch tiefer in mein Fleisch zu graben. Den Häuptling erkenne ich sofort, er hält den Stab wieder in Händen, sitzt aber im Schneidersitz auf einer kleinen Plattform und neben ihm, etwas weiter unten, befinden sich vier weitere Männer. Diese sind vom Alter bunt gemischt, der Jüngste ist vielleicht gerade ins Mannesalter gekommen und der Älteste scheint kaum mehr aufrecht sitzen zu können. Neben der Plattform steht ein Mann, welchen ich nicht als sehr sympathisch empfinde und der bereits mit einigen Waffen ausgestattet ist, was mich nur noch mehr beunruhigt.
Ohne einen Kommentar oder eine Begrüßung werde ich vor dem Podest auf die Knie gestoßen und lasse mich auch bereitwillig auf diese Fallen. Die Stille macht mir zu schaffen und diese beobachtenden Blicke hemmen mich soweit, dass ich mich offen nach Fluchtwegen umsehe. Es gibt viele Ausgänge, zu jedem Steg einen, aber jeder ist verschlossen und wahrscheinlich befinden sich auch vor den meisten Wachen.
Je länger sich die Stille zieht, desto ungeduldiger werde ich und fange auch unverblümt an die Anwesenden zu mustern. Meine zwei Wachen haben sich wieder nach draußen verzogen und somit könnte ich rein theoretisch auch aufstehen und einmal kucken, wie weit ich komme, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass sie es genau darauf anlegen. Nervös sehe ich wieder den Mann an, welcher neben dem Podest steht. Er hat nur ein Auge, das andere wirkt milchig und blind, eine Narbe zieht sich rechts von seiner Schläfe über das Auge und bis hinab zur Wange. Auch sein rechter Mundwinkel hängt in einem seltsamen Winkel hinab. Er ist nicht sehr groß, aber muskulös und wirkt, als wäre er eindeutig zu allem bereit. Vor allem sprechen die kräftigen Muskeln in den Füßen dafür, dass er wesentlich schneller rennen kann als ich.
Ich mustere die verschiedenen Klingen, welche am Gürtel seiner weiten, dunklen Hose befestigt sind. Sie glänzen alle, sind gut gepflegt und Messerscharf, einige haben seltsame Widerharken, Ecken und Kanten, sind vorne abgestumpft oder sehen aus wie lange Nadeln. Mir wird schon beiden Gedanken daran schlecht, was er damit machen könnte.
Hastig wende ich den Blick ab und mustere stattdessen die nächste Person. Es ist der Jüngste von allen, er hat braunes Haar, es wirkt ziemlich hell und auch seine Haut ist nicht ganz so dunkel. Die Kriegsbemalung wirkt eigenartig an seinem noch schmächtigen Körper und ich schätze ihn auf vielleicht 15 Jahre, maximal. Er versucht grimmig zu kucken, aber durch das noch runde Gesicht und die Pickel, wirkt das eher kläglich. Der Blick des alten direkt neben ihm ist dafür umso perfekter. Die Haare sind schlohweiß, stehe etwas wirr ab und sind eigentlich zu einem geflochtenen Zopf nach hinten gefasst. Er wirkt ein bisschen wie ein Vogel, mit den dürren Gliedern und der langen, krummen Nase. Die langsam erblindenden Augen sind unter den buschigen, weißen Brauen nur zwei Schlitze. Das ganze Gesicht scheint nur aus Falten zu bestehen und seine Hände sehen aus wie die langen Glieder von Spinnen, dünn wie Äste.
Mein Blick wandert nach Links, ganz links, da ich es irgendwie nicht schaffe den Häuptling einer Musterung zu unterziehen. Stattdessen beschäftige ich mich mit der Frau und überrascht wandern meine Augenbrauen nach oben. Eigentlich habe ich nicht damit gerechnet, dass jemand weibliches hier dabei ist und finde es auch eigenartig, dass sie überhaupt so etwas zulassen. Bei uns sind Frauen nur Frauen… Dirnen eben. Es haben nur Männer das Sagen.
Ihr braunes Haar ist von grauen Strähnen durchzogen, welche schimmern wie silberne Fäden. Die Augen sind seltsam hell, haben einen Grünstich und verunsichern mich. Sie hat bereits Falten, ihr Gesicht ist etwas rund, so wie ihr ganzer Körper. Sie wirkt wie eine Mutter, streng, aber da entdecke ich dieses leichte, feine Schmunzeln. Es ist irritierend.
Schließlich, nachdem ich sie eine ganze Weile angestarrt habe, man mir die Überraschung wahrscheinlich auch deutlich angesehen hat, überwinde ich mich doch. Ich sehe ihn an und kann mich nur schwer daran hindern nicht sofort wieder die Augen niederzuschlagen. Er starrt mich an, schon die ganze Zeit, so wie es die anderen eben auch getan haben. Die Augen des Häuptlings sind beinahe schwarz, seine Brauen erinnern mich an die nettere Version des Alten und sein Haar ist ebenfalls Grau, aber nicht von einzelnen, schön verteilten Strähnen durchzogen, wie das der Frau, sondern wird fleckenartig heller.
Sein Gesicht ist etwas langgezogen, wirkt aber nicht abgezehrt und die Falten nehmen etwas von der Härte, die er ausstrahlt. Man merkt sofort, dass er die absolute Autorität hat, alleine an seiner Körperhaltung und der Ausstrahlung. Mir läuft es bei diesem grimmigen Gesichtsausdruck bereits kalt den Rücken hinab und ich kann nur schlecht das harte Schlucken unterdrücken. Eine scheinbare Ewigkeit knie ich bereits hier, warte, dass irgendetwas passiert, dass jemand etwas sagt oder sich plötzlich dieser stehende Typ bewegt und mich anfängt aufzuschlitzen.
Aber es passiert einfach nichts und das macht mich beinahe noch verrückter. Ich will aufstehen, loslaufen, einfach weg und bin mir bewusst, dass bevor ich auch nur einen Schritt getan habe, ich wahrscheinlich schon nieder gestreckt werde. Nervös fange ich an hin und her zu rutschen, meine Füße fangen langsam an taub zu werden und das Kribbeln in den Zehen wird unerträglich. Ich beiße die Zähne zusammen, zwinge mich so zu bleiben und gleichzeitig den Blick des Häuptlings zu erwidern. Und egal wie lange ich da sitze, warte, mich nicht rühre und darauf hoffe, es irgendwann herbei sehne, es passiert gar nichts. Vor lauter Anspannung kann ich erst nicht atmen, aber irgendwie wird es tatsächlich langsam besser, statt schlechter.
Eigentlich habe ich damit gerechnet, dass ich verrückt werden würde vor Nervosität, aber da sich einfach gar keiner rührt und meine Füße mich mittlerweile umbringen, denke ich mir irgendwann, dass auch in der nächsten Zeit nichts mehr passieren wird. Also erscheint mir das ein Test und diese Schlauheit hätte ich mir selbst dann doch nicht zugetraut. Abgesehen davon sind meine Füße mittlerweile so taub, dass ich einfach so zur Seite umkippe und um eben das zu verhindern stemme ich mich etwas hoch, was alle Anwesenden tatsächlich kurz dazu bewegt mich noch wachsamer zu beobachten. Ja und dann renne ich nicht weg, sondern ziehe die Füße unter meinem Arsch hervor, strecke sie aus und ächze etwas, als das Blut in diese zurück fließt.
Und das war‘s auch schon.
Beinahe wirken sie etwas enttäuscht, vielleicht kommt mir das auch nur so vor und die angespannten Schultern sinken wieder hinab, als ich so anfange umständlich meine Füße zu reiben. Wie das kribbelt, fast noch schlimmer als zuvor. Hätte ich sie einfach abgeklemmt, bis sie elendig abgestorben sind. Oder auch nicht.
Es passiert wieder lange nichts, ich werde angestarrt, starre zurück, ab und zu. Der Bann scheint irgendwie etwas gebrochen, ich kratze mich an der Nase, sehe mich um und mustere den Raum in aller Seelenruhe. Hier und da werden die schweren Stoffe an den Eingängen vom Wind angehoben und das ist auch schon das aufregendste, das passiert. Wobei es auch immer interessant ist zu beobachten, wann einer der Anwesenden blinzelt und das tun die wirklich, wirklich selten.
Meine Füße haben wieder zurück zu den Lebenden gefunden, von draußen dringen Stimmen und Schritte an meine Ohren, Hämmern und andere Arbeitslaute. Es lebt und doch scheint hier drin die Zeit still zu stehen. Schließlich wird es immer dunkler, ich kann kaum noch ihre Gesichtszüge erkennen, warte und frage mich, was genau ich hier eigentlich tue. Ob das eine Art Folter ist? Ob sie darauf warten, dass ich fliehe und mir dann deswegen die Kehle durchschneiden?
Es wäre eine Möglichkeit und eben deswegen bleibe ich sitzen, habe den Kopf mittlerweile in den Nacken gelegt und sehe durch das Loch in der Decke hinauf. Erst waren die langen, roten Streifen am Himmel zu sehen, welche sich ihren Weg durch die Wolkendecke bahnen. Hier ist der Himmel nicht ganz so verhangen und kein Ast versperrt mir den Blick. Dann ist es immer und immer dunkler geworden, das rot satter, bis es zu einem Lila übergegangen ist und der Himmel selbst, von kaltem graublau, ausgewaschener wurde, um schließlich schwarz zu werden.
Als die ersten Sterne auftauchen liege ich auf dem Rücken, sehe hinauf und atme ruhig. Nach wie vor beobachten sie mich, völlig starr und schon alleine dafür  verdiene sie meine Bewunderung. So lange still zu sitzen erfordert ein hohes Maß an Disziplin und Ausdauer, beides Dinge, die ich nicht habe.
Mich haben schon immer die Sterne fasziniert und ihr Anblick, sie endlich wieder zu sehen, statt einer verhangenen, dunklen Nacht, lässt mir doch tatsächlich die Tränen in die Augen steigen. Als würde ich gute Bekannte nach einer Ewigkeit wiedersehen und registrieren, wie sehr ich sie doch vermisst habe. Es hat auch etwas ungemein beruhigendes, vor allem dieser ruhige Atem der andere, neben dem meinen, das leichte Schwanken und Knarren des Bodens.
Es ist nicht unangenehm und ich mache mir auch nicht die geringsten Sorgen, dass er jeden Moment einstürzen könnte. Sie bauen ihre Dörfer schon viel länger als es mich gibt, viel länger, als es die Piraten nach Nimmerland verschlagen hat und viel länger, als sie sich wohl selbst erinnern können. Was wohl mein Vater von all dem halten würde? Und ganz plötzlich ist da diese Leere, diese erdrückende, bittere Leere, die nach mir greift. Ich blinzle, vertreibe die Gedanken, den Schmerz und die Tränen. Der Anblick der Sterne hat nichts Gutes mehr an sich, tröstet mich nicht mehr, sondern ist beinahe unerträglich.
Ein Licht, rechts von mir im Augenwinkel und ich hebe etwas den Kopf, drehe ihn und registriere den langen Schatten, welcher durch den Eingang hinein in die Dunkelheit geworfen wird. Jemand kommt herein, hinter ihm fällt das Tuch zurück und der große Körper bewegt sich beinahe völlig lautlos. Er kommt auf mich zu, wie ich völlig ausgeliefert am einzigen Fleck liege, durch welchen etwas von dem fahlen Licht der Nacht herein kommt. Beinahe erleichtert stelle ich fest, als ich grob auf die Beine gezogen werde, dass es sich um niemand geringeren, als meinen liebevollen stummen Wächter Indianer grimmiger Blick handelt.
Er verzieht keine Miene, wirkt aber auch nicht mehr halb so gefährlich wie vor ein paar Stunden. Als er mich dann auch noch aus dieser Stille hinaus und zurück ins Leben führt, kann ich gar nicht in Worte fassen, wie sehr ich mich freue ihn wieder zu sehen. Was genau das alles sollte, ob ich durch den Test einfach durchgefallen bin oder ihn bestanden habe, ob es überhaupt ein Test war, das weiß ich nicht. Es ist mir auch egal, denn zum ersten Mal seit Stunden kann ich wieder richtig befreit atmen.
Er schleppt mich an großen Feuerstellen vorbei, um die herum sich Familien eingefunden haben, kochen, reden, lachen und mich teilweise überrascht mustern. Es geht immer weiter nach oben, über Hängebrücken, auch wieder Leitern hinauf, was meine müden Muskeln nicht sehr erfreut. Beinahe blind vor Erschöpfung stolpere ich vor oder hinter ihm her. Meine Handknöchel tun entsetzlich weh, ich habe schrecklichen Durst, mein Magen knurrt laut und schon der Geruch des Essens kommt mir wie die schlimmste aller Strafen vor.
Schließlich, abseits der Behausungen und vor allem der scheinbaren Dorfmitte, dort wo es dunkler und ruhiger ist, wird er langsamer und ich seufze erleichtert auf. Plötzlich hält er inne, ich stolpere natürlich gegen ihn, murmle eine Entschuldigung und versuche vehement nicht hinab in diesen Abgrund zu starren. Geht’s da weit runter, verdammt.
Erst als er auf den Stamm zutritt und dort ein paar Schritte hin und her geht, registriere ich die scheinbaren Vertiefungen. Es sieht beinahe aus, als hätte jemand lange Striche in den Baum geritzt. Um was genau es sich handelt verstehe ich erst, als er scheinbar bewusst auf eine glatte Stelle an der Rinde drückt, diese unter ihm ein Stück nachgibt und sich dann eine Tür in unsere Richtung öffnet. Ich starre und mir klappt der Mund auf. Er zieht leicht am Seil und ich bleibe stehen, sehe ihn ungläubig an. „Oh vergiss es, Freundchen“, bringe ich heißer heraus und stolpere dann nach vorne, als er etwas fester zieht. Mit einer Hand wohlgemerkt, bin ich ein Schwächling. Seine dunklen Augen sehen mich unbarmherzig an und all die Freude, die ich erst empfunden hatte, als ich ihn wieder gesehen habe, weicht. Nein. Ich will nicht lebendig in einen Baum gesperrt werden.
Das sage ich sogar laut, stemme mich mit den Füßen ab und stolpere doch weiter voraus. Er greift nach mir, ich schlüpfe ihm flink unter den Händen davon und tatsächlich, das erste Mal, dass er so etwas wie ein Wort oder einen Fluch von sich gibt. Hastig laufe ich um ihn herum, natürlich hält er nach wie vor meine Leine in der Hand, was die ganze Aktion sinnlos macht, aber man kann ja noch hoffen. Ich laufe, es macht einen Ruck und plötzlich ist da nicht mehr so viel Schnur übrig und ich habe ihn mehr oder wenig am Oberkörper gefesselt. Eine Augenbraue hochgezogen mustert er mich, wie ich direkt vor ihm stehe, die Arme nach wie vor gefesselt, etwas außer Atem und nicht weiß, was ich überhaupt tun soll.
Ich könnte ihn ja schreiend anspringen und an seinem aus harter Muskelmasse bestehenden Oberkörper abprallen. Oder ich umkreise ihn noch so lange bis er keine Lust mehr hat und er sich dann drehen muss, um sich zu entheddern. Der Blick wird noch böser, was ich gar nicht für möglich gehalten hätte und etwas kleinlaut laufe ich tatsächlich wieder zurück und entschnüre ihn freiwillig.
„Krieg ich wenigstens was zu trinken?“, frage ich, als ich unter diesem doch einschüchternden Blick und mir wieder der Tatsache bewusst, dass ich am höchsten Punkt dieses Dorfs wohl wirklich geringe Fluchtchancen habe, mit Höhenangst, freiwillig in mein Gefängnis gehe.
Keine Antwort, wie könnte es auch anders sein. Ich stelle mich in die dunkle Kammer, welche gerade so hoch ist, dass ich gerade stehen kann und eine Art langer Gang ist. Hinter mir gibt es ein seichtes Licht, vor mir steht der Indianer, löst tatsächlich etwas die Fesseln und nimmt mir diese ruppig ab. Ich starre ihn böse an, er starrt böse zurück und bevor dieses Blickduell hätte ausgefochten werden können, macht er einfach die Tür zu.
„Ey, Arschkrampe. Die elendes, kurzgesichtiges Schnabeltier, gib mir wenigstens was zu trinken“, schreie ich und trete nach der Tür, was mein Fuß mir nur mit Schmerzen dankt. Verräter. Alles Verräter. Schlecht gelaunt sehe ich mich um, humple etwas zur Seite und stelle fest, dass ich vielleicht zwei Schritte im Durchmesser habe, dafür wirkt das Licht am Ende des Ganges durch die plötzliche Dunkelheit umso heller. Ein frischer Luftzug lockt mich und doch etwas misstrauisch humple ich voran, mich dabei an den hölzernen Wänden abstützend. Es ist eigenartig sich in einem Baum zu befinden, wirklich eigenartig und umso eigenartiger wird es, als das Licht immer und immer heller, vor allem auch immer größer wird. Es ist fahl und nur von unten sind die Feuerscheine zu erahnen, ansonsten ist es einfach nicht so dunkel, wie es völlig abgeschieden von der Außenwelt wäre.
Ich trete näher heran und erkenne, dass es sich dabei um eine Art Fenster handelt oder viel mehr sieht es aus, als hätten sie die Rückseite des Ganges völlig entfernt. Es gibt kein Geländer oder etwas dergleichen, sondern es ist einfach nur ein Abgrund, der sich dort unter mir auftut. Mich an der Wand festhaltend gehe ich noch etwas weiter nach vorne, vorsichtig und auf jeden Schritt achtend. Es ist dunkel und man kann die Tiefe nur erahnen, aber trotzdem schnürt es mir schon beim bloßen Gedanken wie weit es runter gehen könnte, den Atem ab. Hastig trete ich wieder zurück, halte mich zitternd fest und versuche ruhiger zu atmen.
Von unten kann ich das Rauschen der Wellen hören, das Klatschen der Brandung und unter mir auch das Glitzern des Wassers erahnen. So wird man seine Feinde wohl am besten los. Man lässt sie sich einfach selbst entsorgen.
Irgendwann registriere ich, dass mein Magen im Gleichklang zu der Musik knurrt und als die Musik aufhört, da ist nur noch mein Magenknurren übrig. Und mein Mund fühlt sich an, als hätte ich in richtig schön eine Runde Sand im Mund. Der Durst ist schlimmer als der Hunger, aber am fiesesten ist, dass man im hier in einem völlig trockenen, warmen Gefängnis feststeckt. Ich könnte nicht einmal die Wände ablecken, könnte schon, aber es bringt mir nichts, bis auf ein Spreißel in der Zunge.
Die letzten Geräusche verstummen, es bleibt nichts als Stille, selbst die Lichter unter mir erlöschen, eines nach dem anderen und ich sitze mittlerweile da, habe die Füße über der Kante hängen und sehe hinab. Der Stamm geht gerade nach unten, keine Äste, keine wirkliche Vertiefungen, nichts woran man sich festhalten könnte.
Zumindest soweit ich sehen kann bei dieser Dunkelheit. Aufknurrend lasse ich mich nach hinten auf den Rücken fallen und bleibe so liegen, die Arme über dem Kopf ausgestreckt. Vielleicht sieht ja morgen alles besser aus. Mein Magen grummelt wieder leise vor sich hin, meine Kehle fühlt sich an, als würde sie aus Schmirgelpapier bestehen und brennt. Angefressen drehe ich mich herum, schlinge dann doch die Arme um den Oberkörper, bereue, dass ich die Jacke an dem See liegen lassen habe und natürlich jetzt die kalten Winde zu mir herein kommen.
Fröstelnd ziehe ich die Füße an, rolle mich zusammen und bleibe etwa einen halben Meter vom Abgrund entfernt liegen. Ich könnte auch weiter hinein, da würde ich weniger frieren, aber ich fühle mich nicht imstande auch nur noch einen Schritt zu tun, geschweige denn aufzustehen. Vielleicht hoffe ich auch einfach, dass ich im Schlaf runter falle und sterbe ohne es zu merken.

                                                                       ~

Es kommt mir vor, als wären mir nur ganz kurz die Augen zugefallen. Ein Blinzeln nicht mehr und ganz plötzlich ist es Morgen. Mein ganzer Körper tut weh, ist völlig verspannt und kurz kann ich nicht ganz feststellen wo ich bin. Ich sehe immer noch hinaus, aber das Fenster ist kleiner und als ich den Kopf hebe, mich etwas rege, raschelt es leise. Die Decke ist um mich gewickelt und das Kissen plattgedrückt. Kein harter Boden mehr sondern stattdessen eine durchgelegene Matratze und der Wind bläst kalt durch das gekippte Fenster herein.
Fröstelnd versuche ich die Augen offen zu halten, nicht direkt wieder wegzudösen und mich endlich aufzuraffen, um das Fenster zu schließen. Ein weiterer, kalter Stoß und ich werfe die Decke endlich von mir und komme in die Senkrechte. Meine ganze Umgebung wirkt für mich seltsam falsch, außerdem weiß ich nicht einmal genau wo ich bin noch wie ich hier gelandet bin. Ich trage ein weites T-Shirt am Leib, das mir nicht gehört, dazu eine weite Männerjogginghose und dicke Wollsocken. Meine Sachen hängen über einer Stuhllehne. Der ganze Raum ist sehr… minimalistisch eingerichtet oder karg, eher karg. Eine Kommode, ein Bett und ein Stuhl, das war‘s. Alles aus dunklem, altem Holz gefertigt, sowie die Decke selbst auch.
Kahl aber doch sehr einladend und warm. Es wirkt einfach gelebt und heimelig, sodass ich mich nicht weiter unwohl fühle. Einige Bruchstücke kommen zurück und der Hunger, welcher bis Dato scheinbar an mir genagt hat, wirkt surreal, da ich eigentlich ein warmes Abendessen hatte. Ich hatte zu Trinken und zu Essen, ich hatte nette Gesellschaft und die Indianer waren sehr freundlich, aber trotz allem sind die Erinnerungen nur Bruchstückhaft. Als wäre ich betrunken gewesen und könnte mich dank des Filmrisses nicht mehr erinnern, stattdessen sind da andere Dinge, die ich noch weiß.
Ich weiß noch genau wie ich vor die Anführer geführt wurde, wie ich Stunden lang da gekniet bin und darauf gewartet habe, dass etwas passiert. Und ich erinnere mich noch genau daran, wie es in dem Baum gerochen hat, wie sich das Holz angefühlt hat und der kühle Wind an mir zog. Es wirkt irgendwie seltsam, so viel echter, so viel realer als das Jetzt und Hier. Es ist eigenartig.
Dass ich bereits längere Zeit am Fenster stehe, den Kopf abgewandt und meine Kleidung anstarre, in den eigenen Gedanken verloren, realisiere ich erst nach einer Weile. Nur langsam komme ich zurück, bin noch in der eigenen Müdigkeit gefangen und schaffe es die Hand zu heben und nach dem Fenstergriff zu greifen. Ich drücke und es kostet mich mehr Kraft als ich gedacht habe um es zu schließen, den  Griff umzudrehen und endgültig den kalten Wind auszusperren.
Vor mir erstreckt sich eine lange Ebene, der Berg erstreckt sich einladend, ruft und doch hat sich etwas verändert. Alles ist unter einer weißen Decke verborgen und irgendwie sollte mir wohl das Herz dadurch in die Hose sinken, alleine beim Gedanken, dass ich wohl da draußen erfroren wäre. Schwerfällig wende ich mich wieder ab, vom seichten Sonnenaufgang, schlurfe zurück zum Bett und lasse mich darauf fallen. Tief vergrabe ich mich unter der Decke, stecke den Kopf darunter und schlafe sofort wieder ein.

                                                                                  ~

Ich schrecke hoch als mich etwas hart im Gesicht trifft. Völlig außer mich schlage ich mit den Händen um mich, versuche die Orientierung zu finden und reiße die Augen auf, nur um direkt unter mir in den Abgrund zu blicken. Der Schrei, welcher nun den wohl schon fortgeschrittenen Morgen durchbricht, hallt laut wieder und ist vielleicht sogar noch unten im Tal zu hören.
Bis zu den Schultern hänge ich über der Kante, mir ist auch etwas schwindelig, was wohl an dem vielen Blut liegt, dass mir in den Kopf geflossen ist. Hastig und mit wild hämmerndem Herz ziehe ich mich wieder hinein, bleibe erst einmal zittern auf dem Boden liegen und wische mir, nachdem ich mich wieder etwas beruhigt habe, das Feuchte vom Kinn. Habe ich ernsthaft im Schlaf gesabbert?
Ein Krächzen lässt mich erneut hochschrecken und als wäre mein Morgen nicht bereits aufregend genug gewesen, sehe ich vor mir im Gang einen Vogel. Einen großen Vogel, mit buntem Gefieder und Skeletkörper. Oh nein. Mir fällt beinahe alles aus dem Gesicht als ich den Nimmervogel anstarre, mich frage, wie dieser hier herein gekommen ist und wie er überhaupt aufrecht im Gang stehen kann.
Er nähert sich langsam entlässt aufgebrachte Schreie und ich registriere, als ich mich langsam aufrecht hinsitze und unauffällig Richtung Wand robbe, dass es sich hierbei um einen Babyvogel handelt.
Trotzdem hat er Krallen und einen Schnabel und ich sehe doch noch einmal über die Schulter, falls die Mutter dicht auf den Fersen ist. Nein, nichts dergleichen. Das kleine Wesen sieht mich an, krächzt noch einmal und hüpft dann ein paar Schritte auf mich zu, dabei auf dem Boden interessiert herum pickend. Es wirkt etwas zerzaust und zerrupft, hat noch eher einen weichen Flaum, der durchzogen ist von ein paar bunten, aber noch kurzen Federn. Ich habe noch nie einen Nimmervogel in der Größe gesehen und ja, irgendwie hat es ja etwas Niedliches an sich, wie es mich ansieht, herum hopst und dann ganz plötzlich in mein Bein pickt, sodass ich aufschreie.
„Oh verdammt“, presse ich heraus, trete nach dem überraschten Vögelchen, das nun empört etwas weghüpft und dann wieder langsam näher kommt. Es sieht mich an, während ich mir den Fuß reibe und erinnert mich dabei ein bisschen an den Gnom. Angefressen sehe ich zurück, seufze schließlich und stehe langsam auf. Das kleine Wesen ist nun gänzlich überrascht auch etwas verschreckt, als ich mich zu meiner vollen Größe aufrichte und es mir nur noch bis zur Hüfte geht.
Was genau mache ich eigentlich falsch? Erst der Gnom, dann diese Fee und kaum dass ich von den beiden links liegen gelassen werde, sitzt da eine Miniversion des wohl gefährlichsten Tiers Nimmerlands vor mir. „Nein, ich adoptiere dich nicht“, knurre ich angepisst, eine Hand an der Wand, während ich etwas an den Rand der Kante trete.
Wie ich es bereits in der Dunkelheit erahnen konnte geht es wirklich nur steil hinab. Keine Äste, nichts, einfach nur ein gerader Stamm nach unten und dieser geht dann in eine Klippe über, welche hoch über dem Meer aufragt. Nachts konnte ich es nur erahnen, aber im schwülen Licht der Sonne, welche von diesigen Wolken verhangen ist, kann ich bereits den Schnee auf den Wipfeln der Bäume erkennen und wie dieser näher ist, als ich selbst dachte. Zusätzlich wird mir von der Höhe übel und als dann etwas gegen meinen Fuß stößt schreie ich vor Schreck auf und trete danach.
Es ist der Nimmervogel, eben dieser stupst mit seinem Kopf wieder gegen meinen Fuß und krächzt leise. „Was? Soll ich dir meine Hand zum fressen geben?“, gifte ich das Tier an und eben dieses hüpft ein paar Schritte zurück, weg von mir, vor zur Kante und wieder weg, als es die Höhe sieht. Die Flügel sind noch ziemlich winzig und irgendwie kann ich mir schlecht vorstellen, dass er damit wirklich fliegen kann. Wenn es hier irgendwie rein gekommen ist, dann muss es ja auch wieder rauskommen… . Ich sehe das Vögelchen an, welches bereits jetzt wesentlich größer ist als die meisten Tiere, aber nicht halb so gefährlich wirkt wie die erwachsene Version.
Irgendwie wirkt es nicht, als wüsste es überhaupt, wie man fliegt oder dass es fliegen kann. Außerdem gibt es bekanntlich ja auch die Kinder, die es schaffen den Kopf zwischen den Stäben eines Geländers durchzustecken und ihn nicht mehr heraus bekommen. Mein Vater hat mich damals gut eine Stunde da schmoren lassen. Der Vogel sieht mich an, legte den Kopf schief und mustert dann seine Umgebung, hüpft hin und her und hin und her, sieht mich wieder an, sieht meine Hose an, hüpft wieder herum, sieht mich wieder an und rammt dann schon wieder seinen Schnabel in mein Bein.
Ich schreie, hüpfe ein Stück und trete nach dem elenden Biest, das nun endgültig verstört etwas weg  hopst und es wohl nicht gewohnt ist, dass sein Essen sich einfach wehrt. Unverschämtheit, aber noch unverschämter ist es mir ins Bein zu hacken. Besser könnte es wirklich nicht kommen. Ich sitze in einem Baum fest, habe einen wirklich genialen Ausblick und ein Nimmervogelbaby will mich am liebsten im Schlaf anfressen.
Und dann geht plötzlich die Tür an der anderen Seite meines Verlieses auf, ich sehe das lächelnde, charmante Gesicht meines Erlösers, der wie immer nur so vor Frohsinn strahlt und scheinbar darauf wartet, dass ich meinen Arsch in Bewegung setze. Dann fällt sein Blick auf den Vogel, der statt mir auf ihn zu hopst und krächzt. Er reagiert irgendwie nicht sonderlich Indianerlike, zückt nicht den Speer oder macht etwas dergleichen, um die Beute sofort zu erlegen. Aber es lohnt sich auch nicht Nimmervögel zu töten, an denen ist bis auf die Flügel kein Fleisch und selbst da bin ich mir nicht sicher. Er wendet sich wieder von dem kleinen Biest ab, sieht mich an und tritt zur Seite, als ich tatsächlich Anstalten mache mich in seine Richtung zu bewegen. Und dann werde ich zwischenzeitlich etwas langsamer, den Vogel beobachtend, der vor mir herhopst und immerzu krächzt. Ich könnte auch einfach stehen bleiben. Genau das tue ich auch, sehe den Indianer mit hochgezogenen Augenbrauen an und dann den Vogel.
Eben dieser erwidert meinen Blick angenervt, also, nicht der Vogel sondern der Indianer, zumindest kommt es mir vor, als würde er kurz so etwas zeigen. Vielleicht hab ich mir das auch nur vorgestellt, da seine Mimik so unglaublich bewegt und schnell ist, dass ich nichts außer absoluter Eintönigkeit darin entdecken kann. Und dann setze ich mich wieder in Bewegung, da ich mir so viel Besseres vorstellen kann, als an den Füßen rausgeschleift zu werden. An den Haaren geht ja schlecht, die sind nicht so lang.
Die Tür wird hinter mir geschlossen, der Vogel hat sich nicht so richtig heraus getraut, man hört ihn nur noch gedämpft krächzen und scharren. Aber er ist da ja irgendwie reingeflogen, als wird er notfalls auch wieder rauskommen. Wir laufen die gleiche Strecke wieder zurück, kaum dass er mir erneut meine Fesseln angelegt hat, was ich als total übertrieben und nutzlos empfinde. Abgesehen davon, dass wir fürs Klettern einfach so viel mehr Zeit brauchen, als es ohne gewesen wäre. Als würde ich inmitten eines Indianerdorfes versuchen abzuhauen.
Kaum in der großen Hütte zurück werde ich wieder auf meine Knie verfrachtet und starre erneut die gleichen Gesichter wie am Vortag an. Und die starren zurück, scheinen so wie ich auf etwas zu warten. Dieses Mal bleibe ich nicht so lange auf meinen Knien, setze mich direkt in der Schneidersitz, kaum dass ich losgelassen werde. Indianer lange Leitung stupst mich mit dem Ende seines Speers an, ich bleibe sitzen. Er stößt mich härter, ich knurre. Er stößt noch härter und schließlich krabbel ich erneut auf meine Knie, ihn dabei fragend ansehend, ob es der Prinzessin jetzt recht sei.
Er sieht teilnahmslos und ernst zurück, dreht sich um und läuft auf einen der Ausgänge zu. Ja und ich rutsche wieder in die bequemere Schneidersitzposition. Ein letzter Blick auf seinen Rücken, der sich gerade umwendet und er mich noch einmal ansieht. Ertappt blicke ich zurück, während er kehrt macht und wieder, dieses Mal eindeutig mit dezent verfinsterter Miene, auf mich zuhält. Ich sitze schneller wieder auf meinen Knien als er mich erreichen kann und lächle dabei unschuldig.
Bekomme aber trotzdem noch einen Schlag in den Rücken mit diesem elenden Speer, irgendwann nehme ich ihm diesen einfach ab. Dieses Mal läuft er hinter mir zu einem Ausgang, sodass ich ihn nicht weiter sehen kann. Aber ich begehe nicht wieder den Fehler mich bequem hinzusetzen eher er gegangen ist. Ich lausche auf die erstaunlich leisen Schritte, sehe auf den Boden vor mir und schließlich ist das Rascheln von Stoff zu hören und dann völlige Stille. Abgesehen von dem Treiben draußen im Dorf.
Und dann setze ich mich wieder bequem hin, will gerade die Anwesenden wieder mustern, feststellen, ob die wohl die ganze Nacht so dagesessen sind, als wie aus dem Nichts wieder Schritte zu hören sind. Hastig sehe ich über die Schulter, sehe ihn dort direkt am Eingang und wie er mich böse ansieht. Verdammt, er ist gar nicht gegangen. Er lässt den Speer einmal hart in die Handfläche fallen, während er auf mich zukommt, nur langsam und ich mir ernsthaft überlege, ob ich jetzt hastig wieder auf die Knie gehe, um dann ohnehin geschlagen zu werden oder mich erst schlagen lasse und dann auf die Knie gehe. Schwer, wirklich schwer und er nähert sich unaufhaltsam.
Beinahe ist das schon komisch und noch komischer, nein, sau lustig, ist, dass ich einfach auf meinem Hintern sitzen bleibe, wie ein trotziges Kind. Ich sehe ihm entgegen, höre, seine schweren Schritte und sehe auch, dass er mittlerweile doch etwas wütend ist. Ich habe keine Lust darauf weitere Stunden hier zu sitzen, bis es wieder dunkel wird und mich anschweigen zu lassen, um dann erneut ohne Essen in diese Zelle gesteckt zu werden. Irgendwie sehe ich es ja kommen, dass es genau so endet. Und dann, am nächsten Tag, was passiert dann? Wieder das Gleiche?
Ich habe keine Lust die letzte Zeit, die ich auf diesem eingefrorenen Planeten und verstoßen von meinen eigenen Leuten verbringen werde, darauf warte, dass sich ein paar Indianer einig werden, wie genau sie mich töten. Er steht neben mir, holt aus und schlägt mir mit einiger Kraft mehr als zuvor das Ende des Speers in den Rücken. Wieder trifft er die gleiche Stelle, so wie schon am Tag zuvor und wahrscheinlich tut er das auch bewusst.
Ich bleibe sitzen, spute mich nicht, verziehe nicht einmal wirklich eine Miene. Er sieht mich an, holt noch einmal aus und entscheidet sich dann doch um. Stattdessen greift er mir unter die Achseln und versucht mich so wieder richtig hinzusetzen. Ich hänge einfach da, mache nicht weiter mit und es resultiert darin, dass er mich schließlich grob stößt, mit beiden Händen packt und weiter zerrt. Ich kippe dabei beinahe um, weigere mich aber wieder auf die Knie zu gehen. Das ist doch einfach lächerlich, diese ganze Machtdemonstrationsscheiße.
Er schlägt wieder mit dem Speerende zu, erst in den Rücken, dann die Schulter, sogar gegen den Kopf. Ich bleibe sitzen, beiße die Zähne zusammen und beobachte die ausdruckslosen Mienen um mich herum. Alle wirken unbeteiligt, bis auf zwei Personen, zu dumm, dass ich eine davon bin. Mittlerweile sieht man bei Indianer Regungslos tatsächliche, echte Wut. Er verzieht den Mund, kneift die Augen zusammen und schlägt mir nun hart gegen die linke Brust. Eben dies lässt mich heftiger zusammen zucken, als er selbst wohl angenommen hat. Er zögert, ich hebe die Hände vor meine malträtierte Brust und verziehe vor Schmerz das Gesicht.

                                                                                  ~

„Ich glaube sie hat so etwas wie einen Anfall“, höre ich es gedämpft an meinem Ohr und schaffe es doch nicht die Augen zu öffnen. Sie sind so unglaublich schwer, meine Lider scheinen Tonnen zu wiegen und die Hitze, diese Hitze scheint mich zu töten. Es fühlt sich ein bisschen wie ein sehr hohes Fieber an, lullt mich ein und doch, der Kopfschmerz wird immer deutlicher, je wacher ich werde.
Stimmen um mich herum, sie sprechen in dieser Sprache, die ich bereits zuvor gehört habe. Als wir durch das Dorf gelaufen sind. Sind wir durch das Dorf gelaufen? Bin ich… bin ich durch ein Dorf gelaufen? Die Farben der Hütte und die Kriegsbemalungen, dieses Volk, wie sie trotz des scheinbar nahenden Endes weiter leben, daran festhalten, dass alles gut wird.
Und dann sind da andere Erinnerungen. Wie ich aus dem Auto ausgestiegen bin, begrüßt wurde, zwar mit Abstand und Zurückhaltung, aber trotzdem höflich. Wie ich beim Essen geholfen und mit ihnen gegessen habe, um dann erschöpft in dieses Bett zu fallen. Ich nehme zumindest an, dass ich mich immer noch in diesem befinde.
Aber welche Erinnerung ist nun wahr und welche völliger Blödsinn. Ich bin mir sicher, dass ich noch vor einem Tag genau sagen konnte, was Real und das Traum ist. Aber ich weiß es nicht mehr, spüre nur plötzlich etwas Kühles auf meiner Stirn und zucke zusammen. Es ist unangenehm und fühlt sich im Vergleich zu meiner brennenden Haut eiskalt an.
Dieser kurze Schock reicht um mich endgültig aus meinem in Watte gepackten Zustand zu reißen und ich versuche die schweren, verklebten Lider zu öffnen. Um mich herum befinden sich zwei oder drei Personen, das kann ich nicht genau bestimmen, da mir die Augen sofort wieder zufallen, kaum dass ich sie geöffnet habe. Träume ich oder bin ich wach?
Alle kommen sie mir bekannt vor, jedes Gesicht davon habe ich schon gesehen, stelle ich fest, als ich es endlich schaffe mich etwas länger umzusehen. Es ist der alte Häuptling, dann die Frau und mein Wächter. Sie in dieser legeren Kleidung zu sehen, Jeans und braunem Pullover, dicken Wollsachen, die wahrscheinlich selbst gestrickt sind, scheint so falsch.
„Alles gut, du hast hohes Fieber“, wird meine Hand genommen, mit der ich mir eben dieses kalte Ding von der Stirn ziehen wollte und unwirsch aufknurre. „Alles gut, Liebes“, spricht sie weiter mit mir und streichelt beruhigend über meinen Handrücken. Kurz sehe ich in ihre grünen Augen, welche solch eine intensive, helle Farbe haben, dass sie zu leuchten scheinen.
„Das kommt von der Kälte“, ihre Stimme wird immer und immer leiser, mein Blickfeld auch immer kleiner und es fällt mir schwer, mich noch zu konzentriere, scharf zu sehen. Alles verschwimmt und das leise, amüsierte und höhnische Lachen kann ich nicht mehr zuordnen, bin mir nicht sicher, ob ich es wirklich ausstoße oder mir das nur vorstelle. Natürlich kommt das von der Kälte, zumindest hoffen sie das.

Das zweite Mal als ich hochschrecke ist niemand bei mir, ich bin völlig allein und finde mich in verschwitzten, klebenden Sachen wieder, unter Schichten von Decken gepackt. Mir ist warm, aber nicht mehr so heiß und ich fühle mich ausgelaugt. Es Dämmert, aber dank der dunklen Wolkendecke und dem starken Schneefall bin ich mir nicht sicher, ob es morgens oder abends ist. Ohne darauf zu warten ob es nun heller oder dunkler wird setze ich mich langsam auf und muss mich dabei abstützen, als sei ich plötzlich um 50 Jahre gealtert.
Mein Mund ist trocken, die Kehle tut mal wieder weh und doch habe ich mich mittlerweile an dieses Gefühl gewöhnt. Es kommt mir so vor, als sei ich seit Tagen unterwegs und hätte keinen wirklichen Schlaf gehabt. Immerzu bin ich durch die Wildnis gestolpert, verfolgt worden, von Panik und Adrenalin geschüttelt und kann nicht mehr zuordnen, was ich geträumt und was ich erlebt habe. Mein Körper zumindest fühlt sich an, als hätte ich alles erlebt.
Langsam schwinge ich die Füße über die Bettkante und muss erst einmal sitzen bleiben, damit mein Kreislauf etwas in Schwung kommt und ich nicht beim Aufstehen bereits aus den Latschen kippte. Mein Blick fällt auf die kalten Wickel, welche um meine Füße geschlungen sind und statt mich weiter mit dem Schwindelgefühl zu beschäftigen, fange ich langsam an diese abzumachen.
Irritiert halte ich inne, als ich an meinem Oberschenkel einen Verband vorfinde und sogar ein bisschen Blut hindurchschimmern sehe, womit sich dieser etwas vollgesogen hat. Langsam ziehe ich die Tapestreifen ab, rolle ihn von meinem Bein und finde eine von Wundschorf überzogene Wunde vor. Sie ist nicht besonders groß und als ich realisiere, woher oder eher wer mir diese zugefügt hat, erstarre ich. Wie vom Blitz getroffen japse ich, kann kaum atmen und mein ganzer Körper scheint zu beben. Die Erinnerung, welche mein Hirn dieser offenen Stelle zuordnen will, kann in keinster Weise mit meinem Weltbild übereinstimmen. Und doch, ich weiß sogar noch, wie sehr es wehgetan hat. Dieser dumme Nimmervogel, welcher in mein Verließ geschwirrt ist und immer auf die gleiche Stelle gehackt hat.
Noch während ich mit den Fingern über das getrocknete Blut und die darüber geschmierte Creme fahre, unfähig zu glauben, was mein Verstand mit einbläuen will, entscheidet mein Magen, mir einfach die Entscheidung abzunehmen. Ein Würgen, ich stoße auf, halte mir die Hand vor den Mund, stoße wieder auf und schaffe es gerade so, mich nicht zu übergeben.
Seufzend sinke ich zurück auf die Matratze, die Arme über dem Kopf ausgestreckt und reibe mir über die schmerzende Stirn, diese massierend. Das alles kann nicht wahr sein und noch weniger kann es wahr sein, dass ich mich an diese absurden Träume erinnere, aber nicht die Realität. Es kann ja schwerlich real sein, dass ich von einem Babyexemplar eines vogelartigen Raubtiers, bestehend aus Skelett und bunten Federn, attackiert wurde. Genau so wenig ist dieses fantastisch konstruierte Dorf war, welches scheinbar der Schwerkraft trotzt.
Ich sehe hinauf zur Decke, spüre die Kälte auf meiner Haut und nach einigen Momenten, in denen ich mich fasse und die Realität ordne, schaffe ich es aufzustehen. Die ersten Schritte sind seltsam tapsend, beinahe wie ein Baby, welches ungeschickt vor sich hin strauchelt oder eben ein Betrunkener. Aber der Vergleich mit dem Baby ist einfach netter.
Ich fische meine Sachen von dem rustikalen und völlig schnörkellosen Stuhl, ziehe mir das verschwitzte, klebende Shirt über den Kopf und steige in meine tatsächlich gut riechenden und scheinbar frisch gewaschenen Klamotten. Wie lang habe ich wohl geschlafen?
Die Sachen fühlen sich einerseits vertraut an, aber nicht mehr abgetragen und bereits während ich sie überziehe, scheint sich meine Verfassung zu bessern. Was ein paar saubere Klamotten immer bewirken können, das vergisst man gerne einmal.
Das Sockenanziehen ist eine Herausforderung und da ich mir meinen Verband abgepuhlt habe, komme ich auch nicht in meine enge Jeans, will auch den Wundschorf nicht direkt wieder abschürfen. Somit wird der Pullover, welchen ich am Leib trage und der ohnehin über meinen Hinter reicht, noch etwas mehr nach unten gezogen und ich verlasse beinahe lautlos das Zimmer.
Es ist ruhig, ein Gang vor mir, welcher im Dunkeln liegt und ich mittlerweile feststelle, dass es wohl Abend sein muss. Vier Türen gehen ab, welche ich direkt ausmachen kann und alle sind geschlossen. Dann noch meine eigene und ein weiterer Durchgang ganz am Ende des Gangs, durch welchen Licht scheint. Von dort sind auch Stimmen zu hören, Schritte, Lachen und das Kläppern und Werkeln von Geschirr und Töpfen. Zischen, Wasserrauschen und Klirren. Unter allem dudelt leise ein Radio, rauscht immer mal wieder und der Moderator kündigt gerade die besten Weihnachtslieder der 80er an, als ich mich in den Wohnbereich schiebe. Etwas fehl am Platz bleibe ich stehen, beobachte das Treiben um mich herum und werde erst nicht bemerkt. Es ist der Jüngste, welcher auf mich aufmerksam wird, grinst und dann seine Tante anstößt.
Ich finde es eigenartig, dass er überhaupt eine Miene verzieht, sehe ihn immer noch vor mir, wie er mit starrem, hartem Gesicht da sitzt und darauf wartet, dass etwas passiert. Das Bild ist so deutlich, als ob ich direkt hinein fallen würde. Ich blinzle, werde von einer Stimme zurück in die Realität geholt, die meinen Namen sagt. „SJ, wie geht es dir?“, fragt sie besorgt und ich frage mich, woher ich weiß, dass sie die Tante des Jungen ist, woher ich weiß, dass sie auch meinen stillen Aufpasser aufgenommen hat. Ich kann mich nicht daran erinnern mit diesen Leuten viel gesprochen zu haben, aber da sie meinen Namen kennen und auch sonst recht entspannt mit mir umgehen, muss es wohl so gewesen sein. Auch der Häuptling schenkt mir ein Lächeln, streicht sich über den dunklen Pullover mit dem wirklich hässlichen Weihnachtsmuster darauf und wirkt erfreut mich zu sehen. Dann fällt mein Blick auf den alten Greis und all meine Nackenhaare stellen sich auf. Er sieht genau gleich aus, selbst seine Kleidung wirkt ähnlich und seine Augen, er sieht mich an, als ob er etwas wüsste. Seine Begrüßung ist ein knappes Nicken, es ist mehr, als ich von der Person bekomme, die mich überhaupt hierher gebracht hat.
„Oh, du suchst wahrscheinlich das Bad“, steht nun plötzlich die Frau vor mir und ich finde es befremdlich, dass ich mich an ihr Verwandtschaftsverhältnis erinnern kann, nicht aber an ihren Namen. Er will mir einfach nicht einfallen, keiner von ihnen. Verunsichert sehe ich sie an, nicke dann, obwohl ich selbst gar nicht auf die Idee gekommen bin. Wahrscheinlich würde eine Dusche ganz gut tun. „Wir sind alle froh, dass es dir wieder besser geht“, werde ich noch einmal angesprochen, bevor ich mit ihr zusammen den Raum verlassen kann. Es ist der Häuptling und das aufmunternde Schmunzeln wirkt echt, während der Greis in seinen weißen, dünnen Bart lacht. Er verschluckt sich, fängt an zu husten und sofort wird ihm umsichtig auf den Rücken geklopft.
Dieses Lachen irritiert mich, scheint in dem dunklen Gang nachzuhallen, jeden meiner Schritte zu begleiten. Er hat erst angefangen zu lachen, als festgestellt wurde, dass es mir wieder besser geht. Aber irgendwie fühle ich mich nicht so, ich fühle mich immer mehr entrückt, immer weiter entfernt, von dem, was man einen psychisch guten Zustand nennen würde. Dieses Lachen ist irgendwie gruselig, alle Härchen an meinem Körper stellen sich auf und ich kann nur schwer ein Schütteln unterdrücken, ein Schaudern.
„Er ist schon etwas senil und steckt oft in den eigenen Erinnerungen“, erklärt sie mir und scheint geahnt zu haben, was ich denke. Ich sehe sie einfach nur an, registriere, dass sie scheinbar auf eine Erwiderung oder etwas dergleichen wartet: „Ja… ja.“ Sehr aufschlussreiche, ich weiß, aber mehr fällt mir dazu auch nicht ein. Ihr Lächeln wird nicht weniger, während sie die Türe neben der sie steht öffnet und das Licht im Bad anschaltet.
„Handtücher findest du im Schrank, bediene dich ruhig an den Seifen und wir müssten noch eine eingepackte Zahnbürste in dem Schränkchen haben“, zeigt sie mir alles, während ich an ihr vorbei eintrete. Ich nicke dankbar und folge ihrem zeigenden Finger mit den Augen. Wieder das Lachen, ich zucke beinahe zusammen und versuche doch völlig ruhig zu bleiben, gelassen. Er ist nur senil, mehr ist das nicht und ich bin müde und ausgelaugt.
„Ich bringe dir ein paar andere Sachen zum Schlafen“, lächelt sie und auch dieses Mal kann ich nur dankbar nicken. „I… Ich… ähm, wie lange habe ich denn geschlafen?“, frage ich, bevor sie wieder geht und kurz zieht sie die Augenbrauen nach oben. Sie überlegt scheinbar und nickt dann, während sie spricht: „Zwei Tage waren es auf jeden Fall. Du hast den Schlaf scheinbar dringend gebraucht und deine Zehen sehen nicht sehr gut aus. Du solltest besser auf die Acht geben, vor allem um die Jahreszeit.“ Irgendwie fühle ich mich schlecht, aber sie scheint mir deswegen keine Vorwürfe zu machen, sondern dreht sich nur um und verschwindet aus dem Türrahmen.
Nur wenige Augenblicke später, in denen ich tatsächlich die noch in ein Plastiktütchen gepackte Zahnbürste in dem Spiegelschrank entdeckt habe, kommt sie mit einer weiten, bequem aussehenden Jogginghose und einem übergroßen Pullover wieder, den ich niemals ganz ausfüllen werde. „Es gibt in einer halben Stunde Abendessen und ich bestehe darauf, dass du mit uns isst. Kein Wunder dass man dich bei dem Gewicht für einen Jungen hält. Das war ja für Ahanu ein kleiner Schock, als er realisiert hat, dass du eine Frau bist“, zwinkert sie amüsiert und scheint sich scheinbar an etwas zu erinnern, das ich nicht weiß. Sie lächelt versonnen, macht dann die Tür hinter sich zu und ich lausche noch kurz auf ihre sich entfernenden Schritte. Dann starre ich mich im Spiegel an und finde, dass ich wirklich schäbig aussehe. Meine Wangen sind mittlerweile eingefallen, die Haut ist gräulich und die Augenringe wirken geschwollen sowie beinahe schwarz, was mich nur noch kränker aussehen lässt. Alles in allem habe ich wirklich einige Kilos abgenommen und kaum dass ich mir den Pullover über den Kopf ziehe kann ich meine Rippen betrachten. Ich war schon immer dünn, aber so dürr dann doch nie und es macht mir selbst Angst. Dazu die ganzen blauen Flecken, mein Rücken schmerz ziemlich und als ich mich umdrehe, einen Blick über die Schulter im Spiegel auf diesen erhasche, da sehe ich auch den großen, blauen Fleck. Genau an der Stelle wo er mich geschlagen hat.
Ich schließe die Augen, versuche einfach die Taktik, die sich am besten anfühlt: aus den Augen, aus dem Sinn. Das Wasserrauschen hat etwas Beruhigendes an sich und tut meinem geschundenen Körper gut. Seufzend bleibe ich eine Weile darunter stehen, genieße die Wärme, wie es meine Muskeln langsam entspannt und versuche einfach über nichts nachzudenken. Nicht diese komischen Dinge, welche sich überschneiden mit meinen Träumen, nicht mit den langen Blackouts, die ich ja offensichtlich habe und mein Versand mit irrsinnigen Wahnvorstellungen füllt, nicht über meinen Vater oder die Frage, was genau ich hier tue und wohin genau ich gehe. Nein.
Einfach nur leere und dann doch die Neugier, wann genau Ahanu… so hat sie ihn genannt und ich nehme einfach einmal an, dass es sich dabei um den Kerl handelt, der mich eingesammelt hat, herausgefunden hat, dass ich eine Frau bin. Nun, sie haben mich ja umgezogen und… und ganz plötzlich wird mir doch etwas zu heiß unter dem Wasserstrahl. Oh nein.
Frisch geduscht sehe ich immer noch schäbig aus, aber fühle mich zumindest wieder annähernd wie ein Mensch, so ein bisschen wenigstens. Das Schamgefühl, dass ich sicherlich brühwarm in der nächsten halben Stunde erfahren werde, wieso die Männlichkeit geschockt von der Entdeckung der Weiblichkeit war, bringt mich beinahe dazu, einfach zurück in mein Zimmer zu schleichen und mich im Bett zu verkriechen. Irgendwie traue ich es diesen Leuten zu, dass sie solche Themen ganz offen ansprechen.
Ich überwinde mich doch, rubbel mir die Haare trocken und schlurfe dann auf den dicken Wollsocken entlang zurück in die Wohnstube. Der Duft von frisch gekochtem Essen steigt mir sofort in die Nase, es riecht nach gebratenem Fleisch, Gemüse, dicker Soße und gebackenem Brot. Mein Magen knurrt laut, gibt solche Laute von sich, dass ich beinahe Wörter hinein interpretieren kann. Vielleicht reißt auch bald mein Bauchnabel auf und wird zu einem weiteren Mund, wodurch mein Körper mir seine Bedürfnisse mitteilen kann.
Es wird wieder kurz still, als ich herein komme, aber es ist nicht unangenehm. Ich werde auf einen Stuhl an dem dunklen und rustikalen Tisch gedrückt. Alles hier wirkt heimelig, ist aus dunklem Holz und die Küche, sowie das angrenzende Wohnzimmer, sind sehr alt. Es ist nicht heruntergekommen, sondern einfach nur gelebt. Ausgeblichene Sofas, abgewetzt an manchen Stellen, dann der doch für so viele Leute etwas kleine Tisch und die alles andere als luxuriöse Küche. Es genügt und solche Probleme wie, dass der neue Gasherd ja so gar nicht zu dem modernen Kühlschrank passt, obwohl man ohnehin nicht kochen kann, existieren nicht. So unauffällig wie möglich sitze ich mit dabei, nehme dankend die Schüssel entgegen, welche mir gereicht werden und schöpfe mir selbst nur eine kleine Menge, um dann von jemand anderem noch einmal einen großen Löffel zusätzlich auf den Teller gehäuft zu bekommen. Es herrscht eine ansteckend fröhliche Stimmung, der ich mich nicht lange entziehen kann und es doch bewundernswert finde, dass Ahanu völlig ernst bleibt. Eben dieser ignoriert mich vehement, geht aber auch auf die anderen Anwesenden nicht wirklich ein und enthält sich größten Teils.
„Wir dachten ja erst du wärst tot, als du am nächsten Tag nicht mehr aufgestanden bist“, fängt die Frau an und lacht dabei. „Nein, du hast das gesagt. Ich meinte, dass er, also sie, einfach bereits aufgebrochen ist. Als du dann aber so bleich und starr im Bett lagst“, wirft ihr Mann grinsend ein. „Und dann hast du plötzlich dieses Fieber bekommen. Du warst ja schon am Abend zuvor so still und das war vielleicht ein Zeichen dafür“, vervollständigen sie sich gegenseitig und kommen schließlich zu dem Punkt, worüber sich alle amüsieren.
„Ja, und dann sollte Ahanu deine verschwitzten Sachen wechseln und etwas nach dir sehen. Der arme Kerl“, eben dieser arme Kerl enthält sich weiter großzügig und widmet sich doch etwas zu interessiert seinen Erbsen. Er starrt diese quasi tot und versucht sie mit der Gabel zu erstechen. „Plötzlich stand er wieder bei mir in der Küche und meinte, dass ich das doch besser machen soll. Mehr wollte er dazu nicht sagen und ist ganz rot geworden“, lacht seine Tante weiter und alle anderen, selbst der Greis, auch wenn ich annehmen, dass er nicht ganz versteht um was es geht, amüsieren sich köstlich. Ich merke, dass mir das doch etwas unangenehm ist und Ahanu selbst starrt weiter die Erbsen an.
„Aber man sieht es dir auch wirklich nicht so richtig an. Ich war mir da Anfangs auch nicht sicher“, wird mir wieder einmal mein unglaublich ansprechendes Äußeres vor Augen geführt und die Situation damit aber entschärft. Nicht dass plötzlich jemand aufspringt und wutentbrannt aus dem Zimmer stürmt, mit wehendem Haar und dann so schwere Musik kommt. Dam Dam Daaaam. Oder irgendwo singt plötzlich jemand, ein Huhn oder der Mond. Moment, falsche Geschichte.
Das Essen schmeckt wirklich gut, darüber kann ich nicht meckern, es ist viel mehr die Menge, welche sie versuchen in mich hinein zu komplimentieren. Kaum dass ich eine Sache aufgegessen habe, wird genau das noch einmal nachgeschöpft. Und mittlerweile kann ich keinen Rotkohl mehr sehen, wirklich nicht. Mein Bauch scheint platzen zu wollen, ich bin froh um die weite Hose und lehne weit auf dem Stuhl zurück.
Schließlich gibt es auch noch Nachtisch, einen Nusskuchen und schon beim bloßen Anblick wird mir übel. Irgendwie schaffe ich es ein bisschen zu probieren, lasse das Umkümmern ohne Gegenwehr oder Meckern über mich ergehen und stehe schließlich auf, um nur wieder auf den Stuhl gedrückt zu werden, statt irgendwie beim Abwasch zu helfen. Er sagt nicht einmal etwas, hat seine Hand nur auf meiner Schulter ruhen und sieht mich kurz mit diesen tiefschwarzen Augen an. Die einzige Kommunikation zwischen uns an diesem Abend.
Ich sehe ihnen noch eine Weile beim Aufräumen zu, schließlich sitzen einige bereits auf dem Sofa, der Fernseher läuft mit irgendeinem Footballspiel und auch die Küche ist mittlerweile aufgeräumt. Schwerfällig stehe ich auf, merke, wie die bleierne Müdigkeit mich immer mehr übermannt und verabschiede mich gähnend und mehr als gesättigt. „Danke, das Essen war wirklich sehr lecker. Ich werde dann morgen…“, beginne ich, druckse etwas herum und fühle mich, als würde ich mich ihnen aufdrängen. „Du kannst mir morgen gerne etwas helfen, während die Jungs draußen bei den Tieren sind“, werde ich einfach unterbrochen und mein scheinbarer Einwurf, dass ich eigentlich weiterziehen möchte, einfach ignoriert.
Unangenehm berührt kaue ich mir auf der Unterlippe herum, merke bereits, dass ich meines Erachtens nach bereits viel zu viel Zeit hier verbracht habe und fühle mich doch ungemein wohl hier. „Ich möchte mich euch nicht…“, werfe ich ein und auch dieses Argument wird einfach weggeschlagen, zu Boden gepfeffert und darf sich heulend in einem der Astlöcher im Boden verkriechen.
„Ach, das tust du doch nicht. Es ist schön andere Gesichter einmal um sich zu haben und die Männer helfen immer nicht so gerne im Haus, obwohl ich dabei jede Hilfe brauchen kann.“, sagt sie und ich nicke kurz, fühle mich aber immer noch unwohl. „Außerdem haben wir ohnehin damit gerechnet, dass du bleibst, bis der Sturm sich verzogen hat. Das kann um diese Jahreszeit mehrere Tage dauern, manchmal auch eine Woche und es wäre viel zu gefährlich, jetzt zu Fuß weiter zu ziehen“, stellt sie endgültig fest und damit ist für sie das Thema auch schon gegessen.
Ich schlucke, stehe noch kurz etwas fehlplatziert hinter meinem Stuhl herum und löse mich dann, als ich erneut indirekt angesprochen werde: „Ach, dein Bett sollten wir noch überziehen. Ahanu, wärst du bitte so lieb und hilfst SJ, sie sollte sich noch etwas schonen.“
Und damit werden wir beide in den Gang geschickt und auf uns allein gestellt. Ich hätte mir da tatsächlich lieber einen anderen Weggefährten ausgesucht, einen gesprächigeren, vielleicht auch jemanden, der mich nicht versehentlich und fälschlicherweise fürs falsche Geschlecht haltend, halbnackt gesehen hat.